Krassimira Stoyanova: Gruß aus goldenen Opernzeiten

Krassimira Stoyanova: Gruß aus goldenen Opernzeiten
15.04.2018 Mitko

Krassimira Stoyanova: Gruß aus goldenen Opernzeiten  

Unter den A-Klasse-Sopranistinnen ist sie derzeit die Vielseitigste, dabei war früher so etwas normal: Krassimira Stoyanova als Lucrezia Borgia in Salzburg

Salzburg – Zumutbar wäre das für diese Frau keinesfalls. Und: Wer will eine solche Vokalmonokultur wirklich erleben? Trotzdem sei das Gedankenexperiment riskiert: Schostakowitschs Lady Macbeth hätte sie singen können, Verdis Aida hat sie im Repertoire, Bergs „Wozzeck“-Marie traut man ihr zu, dazu Mozarts „Tito“-Vitellia, sogar eine von Reimanns „Lear“-Töchtern, kurz: In allen diesjährigen Salzburger Festspiel-Opern wäre problemlos Platz gewesen für Krassimira Stoyanova, die jetzt, kurz vor Toresschluss unterm Mönchsberg, in der letzten Oper der Sommersaison ihre Lorbeeren einfährt, als (gleichwohl „nur“ konzertante) Titelheldin in Donizettis „Lucrezia Borgia“.

Früher war alles besser? Das Lamento kann keiner mehr hören, doch im Falle der Bulgarin kommt man ins Grübeln. Krassimira Stoyanovas Karriere ist so etwas wie der Gruß aus goldenen Zeiten des Operngesangs. Als die Allrounder noch die Szene bestritten, als Mozart und Verdi keinen Vokalgegensatz bildeten, als auch Stars ohne Bling-Bling am Firmament leuchteten – und zwar aus eigener Kraft, nicht dank irgendwelcher PR- und Marktanstrengungen. Zur Stoyanova, der Vielseitigsten unter allen derzeitigen A-Klasse-Sopranistinnen, würde außerdem kein Tamtam passen, aus jeder ihrer Gesangsphrase springt einem das entgegen. Auch Donizettis Lucrezia ist bei ihr reinste vokaltechnische Intelligenz. Eine bestechende Gratwanderung, wo rechts und links Abstürze in den Effekt oder ins Getrickse drohen.

Natürlich: Die Final-Cabaletta mit ihrem rasanten Zierrat ließe sich brillanter denken, mehr als Pyrotechnik und Jonglage. Aber darauf kommt es bei der Lucrezia, dieser merkwürdigen Zwitter-Existenz zwischen intriganter Mörderin und liebender Mutter, ohnehin nicht an. So, wie die Stoyanova Noten und Text hinterfragt, ist alles nur Mittel zum Zweck. Ergebnis ist wirklich ein Charakterbild, das Mitleid provoziert und gleichzeitig, in seiner gewissen Kühle, Irritation.

Markus Thiel, https://www.merkur.de, 29.08.2017